Der Bürokratie-Index Deutschland

Verschiedene Ansätze versuchen, Bürokratie quantitativ greifbar zu machen. Bisher fehlt jedoch ein etablierter Indikator, der schlicht das „Gesamtvolumen“ staatlicher Regelungen in den Blick nimmt. Hier setzt dieser Beitrag an: Er stellt einen neuen „Bürokratie-Index“ für Deutschland vor, der auf dem Gesetzgebungsvolumen basiert. Konkret wird die Entwicklung des Umfangs aller Bundesgesetze in Deutschland über die Zeit gemessen und als Indikator für die bürokratische Regulierungstätigkeit interpretiert. Diese Messung des Normenbestands – also der „Gesetzesfülle“ – soll die bestehenden Ansätze ergänzen. 

Bürokratie-Index 2025

Überblick 

Der Bürokratie-Index auf Basis des Gesetzgebungsvolumens zeigt über die letzten zwei Jahrzehnte einen deutlichen Anstieg.

Abbildung 1 illustriert die Entwicklung seit Mitte der 2000er-Jahre.

2010 umfasste die Bundesgesetzgebung insgesamt 1.082 Einzelgesetze mit rund 24.775 Normseiten Text. Bis Ende 2024 stieg diese Zahl auf 1.306 Gesetze mit zusammen 39.536 Normseiten an. Damit hat sich der Umfang des Bundesrechts in 15 Jahren um etwa 60 % vergrößert. Im Durchschnitt kamen pro Jahr ca. 1.000 Normseiten netto hinzu – ein kontinuierlicher Zuwachs von gut 4 % jährlich. Zum Vergleich: Die Anzahl der Gesetze wuchs im selben Zeitraum „nur“ um rund 21 % (von 1.306 auf 1.306). Dies bedeutet, dass nicht lediglich mehr Gesetze geschaffen wurden, sondern vor allem jedes einzelne Gesetz im Mittel umfangreicher wurde.

Ausgewählte Rechtsgebiete

Eine differenzierte Betrachtung der vier größten Rechtsgebiete zeigt unterschiedliche Wachstumspfade: Im Wirtschaftsrecht (z.B. Handels-, Gesellschafts-, Wettbewerbs- und Regulierungsrecht) hat sich der Umfang seit 2010 mehr als verdoppelt (+110 %). Ähnlich dynamisch wuchs das Finanz- und Steuerrecht, das einen Zuwachs von +88 % verzeichnete. Beide Bereiche zusammen – die eng mit wirtschaftlicher Tätigkeit und Marktregulierung verbundenen Rechtsmaterien – machen einen großen Teil des absoluten Zuwachses aus. Zum einen sind in diesem Zeitraum zahlreiche neue Vorgaben im Finanzsektor erlassen worden (z.B. infolge der Finanzkrise ab 2008, Basel-Regeln, Bankenrettungsgesetze, Finanzmarktaufsicht), zum anderen wurde im Wirtschaftsrecht etwa durch das EU-Recht viel neues Regulierungswerk geschaffen (z.B. Verbraucherrechte, digitaler Binnenmarkt, Energiewirtschaft). 

Im Sozialrecht fiel der Anstieg mit +46 % merklich moderater aus. Gleichwohl ist das Sozialrecht weiterhin das umfangreichste Einzelrechtsgebiet. Auch das allgemeine Verwaltungsrecht und Verwaltungsorganisationsrecht wuchs mit +54 % substanziell, aber unterdurchschnittlich im Vergleich zu Wirtschafts- und Finanzrecht. Hier spiegeln sich Reformen der Verwaltungsverfahren und neue Gesetze etwa im Umweltverwaltungsrecht wider, jedoch in moderaterem Tempo. 

Datenbasis und methodisches Vorgehen

Die Datengrundlage für die Berechnung des Bürokratie-Index bildet der Online-Dienst buzer.de, welcher konsolidierte Fassungen des Bundesrechts bereitstellt. buzer.de umfasst alle Bundesgesetze und deren Änderungshistorie und erlaubt damit eine Ermittlung des Stands des Rechts zu beliebigen Stichtagen. Für diese Studie wurde für jedes Jahr von 2006 bis 2024 der Rechtsstand zum Jahresende ausgewertet. Konkret wurde ermittelt, wie viele Bundesgesetze zu diesem Stichtag in Kraft waren und welcher Umfang in Normseiten sich aus dem Text aller geltenden Gesetze ergibt. Durch die konsolidierten Dokumente konnten Doppelzählungen (etwa durch gleichzeitig außer Kraft getretene und neu verkündete Fassungen) vermieden werden. Die Qualität der Daten von buzer.de wurde stichprobenartig mit offiziellen Quellen abgeglichen und erwies sich als zuverlässig. 

Die Auswertung erfolgte wie folgt: Zunächst wurden alle zum Stichtag gültigen Gesetze identifiziert und gezählt (Anzahl Einzelgesetze).  Anschließend wurde der Volltext jedes Gesetzes in Normseiten umgerechnet. Die Summe dieser Normseiten ergibt das Gesamtvolumen der Bundesgesetzgebung in diesem Jahr. 

Ergänzend wurden die Gesetze nach Rechtsgebieten gruppiert, um sektorspezifische Entwicklungen zu analysieren. Hierbei wurde die Zugehörigkeit eines Gesetzes zu einem Rechtsgebiet gemäß der amtlichen Systematik (Fundstellennachweis A des Bundesgesetzblattes Teil I) bestimmt. Betrachtet wurden insbesondere die vier umfangreichsten Rechtsgebiete: Wirtschaftsrecht, Finanz- und Steuerrecht, Sozialrecht und Allgemeines Verwaltungsrecht. Für diese Bereiche wurde jeweils das Teilvolumen in Normseiten ermittelt. Auf diese Weise entsteht für jedes Jahr ein Profil: Gesamtzahl Gesetze, Gesamt-Normseiten sowie Normseiten nach Rechtsgebieten. Schließlich wurden die Zeitreihen gebildet und auf einen Index skaliert (2010 = 100), um die prozentuale Entwicklung anschaulich darzustellen. 

Es ist anzumerken, dass die Konzentration auf Bundesgesetze zwar den Kern des formellen Rechts abdeckt, die tatsächliche bürokratische Regulierung aber noch darüber hinausgeht. Viele Detailregelungen sind in Rechtsverordnungen enthalten, die von der Exekutive erlassen werden. Auch die Länder besitzen eigene Gesetzgebungskompetenzen, und nicht zuletzt wirken EU-Richtlinien und -Verordnungen in das deutsche Rechtssystem hinein. Diese Normschichten wurden in der vorliegenden Index-Berechnung (noch) nicht berücksichtigt. Die Fokussierung auf Bundesgesetze garantiert jedoch Vergleichbarkeit über die Zeit und vermeidet Doppelzählungen, da Verordnungen oft Gesetzesinhalte ausführen, aber nicht unabhängig vom zugrunde liegenden Gesetz betrachtet werden sollten. Mit diesen methodischen Festlegungen liefert der Bürokratie-Index einen konsistenten quantitativen Maßstab für das Wachstum oder die Schrumpfung des deutschen Bundesrechts über die vergangenen Jahre.

Ansprechpartner

Univ.-Prof. Dr. Stefan Wagner, MBR 
University of Vienna Faculty of Business, Economics and Statistics Oskar-Morgenstern-Platz 1 1090 Vienna 
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T: +43-1-4277-38172 tim.ais@univie.ac.at